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Halvers
Kolumne

 
27.09.2017

Politische Stabilität ist für die deutsche Börse nicht verhandelbar

Das nennt man wohl eine politische Zeitenwende: Zukünftig sitzen sechs Fraktionen und sieben Parteien im Bundestag. Die Volksparteien sind schwach wie nie. Die SPD will eine dritte großkoalitionäre Schrumpfungskur, die ihr Ende als Volkspartei besiegeln würde, vermeiden und geht in die Polit-Reha. Ist Opposition doch nicht immer Mist?

Jamaika bedroht von Hurrikan Horst

Damit geht als Regierungsbündnis offenbar nur noch eine Jamaika-Koalition aus Schwarz, Gelb und Grün. Bei Jamaika denkt man zunächst an karibisches Lebensgefühl. Bundespolitisch könnte es aber auch Ähnlichkeiten mit Sibirien haben. Das erste Mal seit den 50er-Jahren aus drei Fraktionen und vier Parteien ein für alle Beteiligten bekömmliches Bündnis aus Wertkonservatismus, Umweltschutz, Wirtschaftsliberalismus und Bestandsschutz zu schmieden, scheint extrem problematisch zu sein. Es ist ähnlich schwierig, wie aus vier unterschiedlichen Obstsorten eine wohlschmeckende Vierfruchtmarmelade zu kochen, ohne dass die Erdbeeren dominieren oder die Aprikosen unterdrückt werden. Die inhaltlichen Positionen von FDP und Grünen liegen in Wirtschafts- und Ökologiefragen geschmacklich weit auseinander. Und Verbindungen von Grünen und der CSU - also traditionellen politischen Erzfeinden - galten bislang sogar als komplette politische Geschmacksverirrungen. Allerdings werden auch die zickigen Konflikte zwischen den Unions-Schwestern nichts Wohlschmeckendes haben.

Ohnehin wäre es für die CSU dramatisch, wenn Jamaika in Berlin von den bayerischen Wählern als Blaupause für die 2018 stattfindende Landtagswahl im Freistaat „missverstanden“ würde. Ohne absolute Mehrheit ist die CSU auf Bundesebene wie ein Löwe ohne Zähne. Das Intermezzo einer Koalition mit der FDP zwischen 2008 und 2013 hatte ihr bereits gereicht. Und da sie bei der Bundestagswahl unter 40 Prozent Zweitstimmenanteil in Bayern gefallen ist, wird sie zur Betonung ihres Markenkerns vorbeugend auf klaren Konfrontationskurs mit den Grünen und der FDP gehen.

Die Lindner-FDP ist aufmüpfig wie das kleine gallische Dorf bei Asterix und Obelix

Jamaika droht auch in puncto Europa-Politik ein Konflikt, konkret zwischen Union und FDP. Der französische Staatspräsident Macron hat derzeit hohes Machtpotenzial, das er vor den Europawahlen 2019 für seine Eurovision nutzen will. Gegen eine verstärkte Europäische Integration ist zwar überhaupt nichts einzuwenden. Aber es darf kein Trojanisches Pferd sein, in dessen Inneren die Vergemeinschaftung nationaler Schulden, Bankeinlagen- und Arbeitslosenversicherungen und ein mit dickem eigenem Budget ausgestatteter, überspendabler Euro-Finanzminister stecken. Hier will die FDP statt auf quasi-sozialistische Umverteilung und Kaputtverwaltung auf Euro-gemeinschaftliche Strukturreformen setzen, um Europa wieder als Investitionsstandort attraktiv zu machen. Zu dieser Zielerreichung will die Lindner-FDP der CDU den Posten des Bundesfinanzministers wegnehmen. Denn nur dieses Ministeramt steht auf Augenhöhe mit der Bundeskanzlerin. Stunk in diesem früheren politischen Dream Team ist vorprogrammiert.

Merkel als Sozialarbeiterin, die „Verhaltensauffällige“ bändigen muss

Die Liberalen haben sowieso mit Frau Merkel noch ein Hühnchen zu rupfen. Die Kanzlerin hat die FDP in der letzten schwarz-gelben Koalition am langen Arm verhungern lassen und sie damit in die  außerparlamentarische Diaspora geschickt. Kann die FDP diesmal keine wahrnehmbaren politischen Duftmarken hinterlassen, wird sie Jamaika platzen lassen. Das ist ihr viel wichtiger als bei der nächsten Bundestagswahl final von der Polit-Klippe zu fallen.

Man fragt sich insgesamt, wie die ideologischen Bretter der mutmaßlichen Koalitionäre fallen können und ob sie bereit sind, ohne Ekel politische Kröten zu schlucken. Vier unterschiedliche Parteien zusammenzubringen und wie die jamaikanische Bobmannschaft bei der Winterolympiade 1988 im kanadischen Calgary erfolgreich zu einem Team zu formen, erfordert einzigartige Trainerqualitäten von Frau Merkel.

Jedem Regierungs-Anfang wohnt ein Zauber inne, oder?

Die deutsche Wirtschaft zeigt sich über den Wahlerfolg der AfD entsetzt. Doch ist damit Deutschland in einer Polit-Realität angekommen, die in anderen EU-Ländern schon seit vielen Jahren gang und gäbe ist. Eine neue Regierung hat in der kommenden Legislaturperiode die Bringschuld, mit der Schaffung von Perspektiven für die Bevölkerung dagegen zu halten.

Der deutsche Aktienmarkt scheint derzeit noch keine Bauchschmerzen mit einer schwierigen Regierungsbildung zu haben. In Form der alten wie neuen Kanzlerin Merkel gibt es zumindest eine Konstante. Der letzten GroKo weint die deutsche Wirtschaft kaum Tränen nach. Gegenüber ihrer Reformunbeweglichkeit ist der Berliner Reichstag geradezu ein Kreisel. Es wurde reagiert und verwaltet, nicht regiert und nicht visionär gehandelt.  

Die deutsche Wirtschaft sieht dagegen in Jamaika durchaus den Charme eines reformistischen Neuanfangs. In den Punkten Bildung, Digitalisierung und Einwanderungsgesetz nach dem Vorbild Kanadas gibt es zumindest eine konsensfähige Basis. Kehren also neue Besen gut?  

Die Börse wird nicht ewig auf Jamaika warten

Allerdings sollte eine neue Regierung nicht erst irgendwann 2018 stehen. Grundsätzlich galt Deutschland in den letzten Jahrzehnten immer als eines der politisch stabilsten Länder und daher als Fels in Europa. Angesichts eines immer noch nicht Krisen geheilten Europas und einer voranschreitenden Globalisierung mit brutal zunehmendem Wettbewerbsdruck über die digitale Revolution darf es keinen bröselnden deutschen Polit-Koloss geben.

Je länger sich Koalitionsgespräche wie Kaugummi ziehen, umso nervöser und schwankungsanfälliger werden vor allem Mittelstandsaktien aus MDAX, SDAX und TecDAX, die im Gegensatz zu den großen internationalen DAX-Konzernen einen stärkeren Heimatbezug haben.

Das Schlimmste wären Neuwahlen. Dann drohten italienische Verhältnisse. Denn was wäre, wenn eine Regierungsbildung danach noch schwieriger würde?  

Es gibt für die vier Parteien eine verdammte staatspolitische Pflicht, eine stabile Jamaika-Koalition in überschaubarer Zeit zu bilden. Ansonsten muss die SPD doch noch mal ran. Dann wird sie sich an ihr altes Verantwortungsgefühl erinnern müssen: Erst der Staat, dann die Partei.